vom Tabu zum Kunstwerk

Es gibt in der Kunst kaum eine Richtung, die in der breiten Masse kontroverser betrachtet wird, als die Kunst der Seile. Während viele Liebhaber sich über Bildschnitt, Pose und Beleuchtung des Models austauschen, andere die Technik bewerten oder Laien sie bewundern, steht Lieschen Müller fassungslos erbost da und rollt ihren Gebetsteppich gen Alice Schwarzer aus.

Fesseln, Bondage... Shibari... echte traditionelle japanische Kunst oder freies Fesseln - von der Auswahl der Seile ganz zu schweigen... und wie heutzutage in allen Bereichen gibt es auch in diesem Bereich viele, die kaum ihre Schnürsenkel knoten können sich aber großspurig nawa sensei, Shibari Meister oder sonstwie pseudo-asiatisch nennen - ich nenne sie alle "Rigger", was auch umgangssprachlich gerne genutzt wird. Das unerfahrene Bunny (so wiederum nennt man oft das "Opfer") wird sich vielleicht davon beeindrucken lassen - zumindest bis es die ersten ernsthaften Verletzungen behandeln lässt.

Da nun aber spätestens seit Fifty Shades of Grey nun selbst Lieschen Müller erkannt hat, dass ein bisschen Fesseln gar nicht so pervers sein kann und es sie doch ein bisschen im Bauch kribbelt - werde ich auch diese Richtung der Kunst öffentlich leben und präsentieren - wenngleich es trotz allem nur eine Facette von mir und meiner Kunst darstellt.

 

 

 

warum eigentlich fesseln?

Man nennt es Rope-Bondage, (eigentlich fälschlicher Weise) Shibari, Kinbaku - oft schlicht auch Knoten... und es gibt unzählige Techniken, teils sehr traditionell, teils freies Fesseln - und manchmal dienen die Seile einfach Kunst und Zierde.

Fesseln - das übt seit Urzeiten Faszination aus, meist Angst oder zumindest Unsicherheit, oder prickelnde Erotik... für viele bleibt es nur eine heimliche Faszination, denn die Hemmschwelle darüber zu sprechen ist hoch... schließlich gehört das noch immer ins abgedunkelte eheliche Schlafzimmer - oder noch besser ins Domina-Studio. Mit Seilen gefesselt wurde im Japan der alten Tage, um Gefangene sicher zu transportieren, anderswo wurden Gefangene in Ketten gelegt. Viele Fesseltechniken sollten Schmerzen zufügen und Geständnisse erzwingen.

Aber was ist es eigentlich, das diese Faszination auslöst? Betrachten wir mal eine These: Fesseln erzeugen versteckte Paradoxien: Seile nehmen augenscheinliche Freiheit - doch schenken sie auch gleichzeitig: die Freiheit, seine Verantwortung abzugeben, die Freiheit, nicht handeln zu müssen... wer kennt nicht das "Pflichtgefühl", Zärtlichkeiten zurückzugeben, wenn man sie erfährt? Seile machen wehrlos, schutzlos, verletzlich - und schenken doch Geborgenheit, umarmen, halten einen. Babys wickelt man in Tücher, um ihnen das geborgene Gefühl vom Mutterleib zu geben...

Lieschen Müllers Küchenpsychologie hingegen wiederum weiß es besser: der devote Part zieht sich so aus der Verantwortung, um seine Selbstzweifel nicht zu schüren und mit Zurückweisung besser klar zu kommen, während der dominante Part mental schwache Partner sucht, die zu allem ja und Amen sagen, weil er (ebenfalls) Angst davor hat, sich einer "echten Frau" stellen zu müssen... zum Glück hat inzwischen auch der letzte Vorstadt-Psychiater verstanden, dass fesseln und gefesselt werden, Macht und Demut (wie immer natürlich alles im Rahmen!) genau so eine Mischung aus Veranlagungen, (früh)kindlicher Reize und prägenden Erlebnissen - und damit in uns verankert - sind, genau wie die Vorliebe für Steaks, eine bestimmte Farbe, oder einen Partner mit Tattoos.

Man könnte jetzt noch viel tiefer in Philosophie und psychologische Betrachtungen tauchen - und man könnte Bücher mit Kontroversen füllen, aber dies würde hier sicher den Rahmen sprengen. Was aber bleibt ist die Faszination - die Faszination der Paradoxien...

ein Hamburger Jung und sein Tüddelband

Bereits im Vorschulalter musste ich alles verschnüren, was mir vor die Seile kam: das Treppengeländer meiner begeisterten Oma, draußen die Bäume - genauer gesagt meine Spielkameraden - und später dann mit 14 Jahren meine erste "feste" Freundin...auf dem Heuboden ihrer Eltern - natürlich mit deren Wäscheleine.

Im Laufe der Jugend wurde dann viel experimentiert, Stunden und Tage in Büchereien verbracht (das Bondage-Handbuch von Matthias Grimme gab es damals leider noch nicht), und die ersten vorsichtigen Kontakte zur Hamburger SM-Scene "geknüpft"... von da an hatte die Leidenschaft einen Namen - und bekam tatsächliche Kompetenzen.

Irgendwann war der Punkt gekommen, an dem ich meine Erfahrungen, meine Kompetenzen -vor allem auch durch meine Kenntnisse im medizinischen Bereich und durch die Wasserrettung aufgewertet - weitergeben wollte: der erste Bondage-Workshop für Paare war geboren. Zunächst fand er mit nur wenigen Teilnehmern im heimischen Wohnzimmer statt, er wuchs und noch später habe ich dann auch auf Veranstaltungen geknotet.

Fesseln beim Shooting

Fesseln ist etwas sehr persönliches, intimes. Die Wehrlosigkeit, das Fallen lassen in die Situation gehört -viel mehr noch als beim Akt-Shooting- in in den sicheren Rahmen einer guten Beziehung. Dabei muss es nicht unbedingt eine sexuelle Beziehung oder Partnerschaft sein (und bekanntlich hat jeder mit jedem seiner Gegenüber eine Beziehung), aber der Fesselnde braucht sehr viel Empathie, Erfahrung - und muss sich und die Situation in jeder Beziehung absolut und vollkommen unter Kontrolle haben. An einem Set, an dem gefesselt wird, hat der Fesselnde in jedem Bereich das letzte Wort: er spürt, ob es dem Model/Bunny zu viel wird, zu intim wird und verbietet dem Fotografen weitere Fotos. Er weiß, wann sofort und unumstößlich die Pose oder Situation sofort beendet wird. Er weiß das Model/Bunny aufzufangen und gegebenenfalls einen Teil der Hektik nach draußen zu verbannen.

An dieser Stelle möchte ich gerne den verklärten Blick von Fifty Shades of Grey, der letzten spannenden Bondage-Performance, und vor allem den Millionen Fessel-Bildern im Internet auf die nüchterne Realität des optisch (und manchmal tatsächlich) kühlen Studios mit seinen Scheinwerfern, Blitzröhren und technischer Ausrüstung lenken. Bitte versteht das nicht falsch: auch bei einem Bondage-Shooting im Foto-Studio kann man einen guten Blick in die Welt aus Hingabe und Dominanz erhaschen, sich fallen lassen und fühlen - und da ist auch gar nichts verwerfliches bei... solange dieses Erlebnis auf Seiten des Models bleibt - und der Rigger seinen oben beschriebenen kühlen Kopf, den Überblick, die Empathie behält... und vor allem seine Finger bei sich, sollte es nicht klar anders abgesprochen sein.

Ich bin oft Rigger und Fotograf in einer Person, was einen Widerspruch auslöst, mich zu hundert Prozent um das Model zu kümmern und gleichzeitig tolle Fotos zu machen. Entweder nehme ich mir dann einen Fotografen dazu, oder ich erschaffe nur Situationen, die ich auch wirklich kontrollieren kann. Niemals würde ich für ein tolles Foto das Model aus dem Fokus verlieren.

Noch ein paar mahnende und informative Worte für das Model zusammengefasst:

  • Du wirst nach dem Shooting definitiv "Ropemarks" haben. Das sind rote Abdrücke auf der Haut, die normalerweise nach wenigen Stunden -oder spätestens am nächsten Tag- verschwunden sein sollten. Das ist absolut nicht bedenklich und viele "Bunnys" tragen und zeigen sie mit Stolz. Solltest Du jedoch einen eifersüchtigen Partner haben und ihm vorher nicht davon berichtet haben, bin ich für Konsequenzen nicht verantwortlich
  • je nachdem, wie empfindlich Deine Haut, Deine Muskeln und Bindegewebe ist, kann es passieren, dass Du blaue Flecken bekommst, die ein paar Tage bestehen bleiben... so als würdest Du Dich an der Türklinke oder einer Schrankecke stoßen. Auch hier brauchst Du keine gesundheitlichen Risiken befürchten, solange der Rigger weiß, was er tut
  • wir werden einander teilweise recht nahe sein und es ist wichtig, dass wir dabei ständig im Dialog bleiben. Ich werde Dich jeweils informieren, was ich vor habe und bevor ich Dich an "kritischen Stellen" berühre immer wieder den Dialog mit Dir suchen und Dich im Auge behalten, ob Du Dich damit noch wohl fühlst. Wir bewegen uns da nicht nur rechtlich in einer Grauzone und Dein Wohl ist mir in mehrfacher Hinsicht sehr wichtig
  • ich werde Dich schon beim Fesseln komische Dinge tun lassen (wie zum Beispiel Zeigefinger und Mittelfinger spreizen "Victory-Zeichen"), um Nerven und Reflexe zu testen. Da musst Du mir vertrauen, dass ich weiß, was ich tue.
  • Thema Kleiderordnung: wenn Du beim Fesseln Kleidung trägst, sind harte, starre Dinge wie Bügel-BH, Gürtel, Ketten, enge Jeans etc. tabu. Piercings sollten mit mir abgesprochen werden
  • Gesundheitliches: OP-Narben (auch alte), frühere oder gar frische Brüche,  Bänderrisse, Gelenkprobleme oder ähnliches solltest Du in Deinem eigenen Interesse im Vorfelde ansprechen... ebenso bekannte Kreislaufprobleme, Angststörungen und alles was auf das Shooting Einfluss haben könnte - und keine Angst: es muss kein Ausschlusskriterium sein - aber ich muss es wissen... und zwar vorher
  • jegliche Form von Betäubungsmittel - Alkohol, Drogen, Schmerzmittel - sind absolut tabu (das gilt bei mir sogar für ein "normales" Shooting). Erwische ich Dich damit, ist das Shooting sofort und unwiderruflich vorbei
  • Du wirst zwischenzeitlich -je nach Pose und Setting- tatsächlich vollkommen wehrlos sein. Auch da muss Dein absolutes Vertrauen mir gegenüber vorhanden sein... und manchmal spielen einem Wissen und Fühlen einen Streich
  • je nach Absprache mit Dir sind ein Visagist, Licht-Assistenz, Fotograf oder andere Helfer (meist die weibliche Form), vielleicht sogar eine Freundin von Dir mit am Set. Für alle Beteiligten gilt: ich als Fesselnder habe in allem das letzte Wort - das Schiff hat aus gutem Grund nur einen Kapitän.

Das klingt jetzt vielleicht alles etwas übertrieben, sehr hart... und vielleicht auch arrogant - aber mir ist in über drei Jahrzehnten Fesseln noch nicht ein einziger Unfall passiert - und ich möchte diesen Schnitt gerne halten... mein Ziel ist, dass Du danach sagen kannst "bei Thomas habe ich mich wie in Abrahams Schoss gefühlt"

Technisches

Wir kranken heute an zwei konträren Symptomen: einerseits entfernen wir uns immer weiter von logischen Zusammenhängen und tatsächlicher Kompetenz, andererseits spüren wir, dass uns das Leben immer weiter überholt. Der Mensch heute hat - am Beispiel der Fotografie - verschiedene Optionen, darauf zu reagieren, wenn er das Problem denn überhaupt erkennt (vergleiche: die vier Kompetenzstufen, unbewusste Inkompetenz):

  1. lernen. Lernen was das Zeug hält. Den Fleiß besitzen, alles wissen zu wollen, alles können zu wollen - und das bis in die Tiefe. Das kostet Zeit, viel Zeit, ist anstrengend und oft bleibt die Frustration, nicht gut genug gewesen zu sein.
  2. ignorieren und tricksen. Man nimmt Geld in die Hand, kauft eine teure Kamera und dreht so lange an Blende, Zoom und Lightroom rum, bis man etwas reißerisches, buntes, auffälliges "geschaffen" hat, das andere beeindruckt und den Schein von Kompetenz schafft.

Was ich mit diesem langen Vorwort sagen will:

wer fesseln will muss lernen

Fangen wir gleich mit dem nahe Liegenden an: dem Seil. Im Prinzip könnte es so einfach sein: Baumarkt. Nylon oder Polyester, Sisal, Kunst-Hanf - die Auswahl ist so groß, da muss doch das Richtige bei sein? Kurze Antwort: nein. Kein einziges der im Baumarkt verfügbaren Seile hat die Eigenschaften, die es zu einem brauchbaren Fessel-Seil machen. Aber was macht ein zum Fesseln geeignetes Seil aus? Es sollte...

  • weich und angenehm auf der Haut sein und keine allergischen Reaktionen verursachen
  • gut zu handhaben sein, nicht zum in sich verdrehen neigen und leicht zu knoten
  • die Knoten sollten sich, auch wenn sie unter Zug waren, leicht wieder öffnen lassen
  • wenn man es über die Haut zieht sollte es nicht heiß werden, wie Kunststoffseile es tun
  • formstabil sein und vor allem sich unter Last nicht dehnen
  • unempfindlich gegen mechanische Belastungen sein
  • unempfindlich gegen Feuchtigkeit sein
  • umweltverträglich sein und aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen
  • und natürlich günstig sein und lange halten

Ich könnte jetzt lange über die Beschaffenheiten der einzelnen Seil-Materialien referieren - und wenn Ihr Fragen dazu habt, gehe ich da auch gerne weiter in die Tiefe - aber hier können wir es für den Moment abkürzen: es gibt nur ein Material (mit Abstrichen zwei Materialien), das diese Anforderungen erfüllt: Hanf (das zweite Material ist übrigens Jute)... und das bekommt man -außer online- nur in einer gut sortierten Seilerei. Dort bekommt man es zwar in der Regel unbehandelt, dann fühlt es sich rauh, faserig und störrisch an - dafür aber ohne Perversen-Aufschlag.

Um Hanf-Seil vor dem Fesseln zu bearbeiten gibt es unzählige Anleitungen im Internet - jede hat ihre eigenen Regeln, Rezepte und Vorgehensweisen, jede ihre Philosophie dahinter.... und letztlich kann man nur für sich selbst entscheiden und vielleicht sogar ausprobieren, für welche man sich entscheidet. Grob zusammengefasst: kochen, unter mechanischer Spannung trocknen, die überstehenden Fasern abflammen, ölen, wachsen... und das ganze in verschiedenen Reihenfolgen und so häufig wiederholend, bis das Seil entweder kaputt ist, oder ideal flauschig und dabei super reißfest - oft ein Widerspruch in sich. Übrigens kann man im Internet Seile kaufen, die das ganze Prozedere schon hinter sich haben, dafür aber mehr kosten... und -zumindest was die Bruchlast betrifft- oft mehr einer Katze im Sack entsprechen, als realistischer Einschätzung der Belastbarkeit entsprechend. (Anmerkung für erfahrenere Leser: bevor Ihr mich für den Standpunkt kritisiert: Hand aufs Herz: wann habt Ihr das letzte Mal tatsächlich einen Bruchlast-Test mit neuen, geschweige regelmäßig mit Gebrauchten, gemacht?)

Nachdem wir nun flauschig weiche, unnachgiebige, robuste und reißfeste Seile haben, können wir loslegen... nicht. Denn bevor wir unser Bunny zum Rollbraten verknoten oder sogar aufhängen, kommt ein Haufen theoretisches und praktisches Wissen... wo darf man wie welche Seile anbringen, wie viele Lagen, wie macht man die Knoten und... wie dick muss das Seil überhaupt sein? Auch hier wieder eine klare Antwort: es hängt davon ab. Davon, was man erreichen will. Davon, wie schwer das Bunny ist... und wie erfahren, wie sportlich, wie empfindlich die Haut... und letztlich: wie ist ihr Schmerz-Empfinden? Auch diese Fragen werden den Rahmen dieser Seite sprengen, weswegen ich auch hier auf die einschlägige Literatur, oder noch besser: einen Lehrgang/Workshop bei einem erfahrenen Rigger verweisen möchte... mit diesem Artikel möchte ich Euch nur für das Thema sensibilisieren... die unbewusste Inkompetenz zu einer einer Bewussten wandeln.

Die folgenden Absätze möchte ich nicht als Anleitung zum Fesseln verstanden wissen, sondern als eine Übersicht, was für Themen und Herausforderungen auf Euch warten. Alles was Ihr mit Eurem Bunny knotet, macht Ihr auf Eure eigene Verantwortung:

Ein Seil hat eine Bruchlast - das ist die Zuglast, die es ohne weitere reduzierende Einwirkungen aushält, bevor es kritisch wird. Für ein 6mm gedrehtes Hanf-Seil liegt diese zum Beispiel bei 285 daN, was man grob in Kilogramm rechnen kann. Da wir zum Fesseln keine rauen unbehandelten Hanf-Seile benutzen, rechne ich nach der Behandlung locker ein Drittel ab, also 190 daN/kg. Da Euer Bunny nicht wie ein Mehlsack hängt - und dynamische Lasten bis zu acht mal(!) mehr Gewicht verursachen können, bleiben gerade mal knapp 24 Kilo übrig - Ihr müsst, um Euer 70-80 Kilo Bunny sicher aufzuhängen, mindestens schon mal vier Seil-Stränge rechnen... wenn... nicht die Knoten wären: je nach Knoten oder Verbindung verliert das Seil noch einmal an Bruchlast - insbesondere wenn Seil durch Seil gezogen wird, könnt ihr hier also noch einmal gut die Hälfte abziehen... wir sind also bei acht Strängen, um wirklich auf der sicheren Seite zu sein.

Ihr seht: von den satten 285 Kilo bleibt nicht viel übrig... und auch jetzt sind wir, wenn man ganz akribisch sein möchte, noch nicht am Ende der Bruchlast-Gedanken... denn wir wollen unser Bunny ja vielleicht auch mal an dem Seil hochziehen... sprich: für den Moment, in dem wir das Bunny hoch ziehen, kommt noch einmal unser eigenes Gewicht oben drauf!

Nachdem ich Euch nun vollkommen in Panik versetzt und Ihr Eure Baumwoll-, Kunststoff und stundenlang ausgekochte Hanf-Seile entsorgt habt, möchte ich noch warnend den Zeigefinger hebend auf ein paar andere mögliche Bruchlast-Probleme hinweisen, denn es gibt noch ein paar weitere Fallstricke, die die Bruchlast weiter senken, oder gar Eure Seile bis zum Reißen beschädigen:

eines der typischen Problem entsteht bei mehreren Ankerpunkten als Winkel des Seils zur Zugrichtung - hier möchte ich auf Euren Mathe-Lehrer, oder ein gutes Formelbuch verweisen - aber lasst Euch gesagt sein: hier handelt es sich nicht um ein theoretisches Problem, sondern um ein ganz praktisches... im schlimmsten Falle tut das Bunny nämlich selbiges: fallen.

Eine wichtige Erkenntnis: Knoten ist nicht gleich Knoten.

Wer schon einmal segeln, tauchen, klettern, oder bei der örtlichen Feuerwehr war weiß, dass jedes Problem seine eigenen Knoten kennt - so ist es natürlich auch beim Fesseln - und wieder einmal muss der arme Knoten ganz vielen Anforderungen gerecht werden.

Unsere Wicklungen und Knoten dürfen sich nicht zuziehen, weil der Körper nun mal kein Stahlrohr ist, sie dürfen oft auch nicht groß sein, um keine Druckpunkte zu erzeugen, sie müssen sich schnell und leicht wieder lösen lassen, um unser Bunny schnell aus einer Situation zu bekommen, das Bunny wiederum sollte sie möglichst nicht aufbekommen, weil es sonst vielleicht witzlos ist, sie zu fesseln... und... da sind wir wieder bei der Bruchlast: sie dürfen das Seil nicht beschädigen oder unnötig die Bruchlast weiter heruntersetzen. Letzteres passiert zum Beispiel, wenn man eigentlich mit einem Doppel-Seil arbeitet, dies dann aber durch eine einfache Schlaufe zieht, die so entweder selber reißt, oder aber das Doppel-Seil wie ein Messer schneidet. All dies lernt Ihr von einem erfahrenen Rigger Eurer Wahl in Workshops.

Apropos Rigger: jeder hat so seine eigenen Erfahrungen und "Regeln" - aber WENN Ihr mal einen Rigger seht, der das Eine oder Andere hier angesprochene nicht beherzigt, gilt es immer noch abzuwägen, ob er es aus Unwissenheit tut, oder weil er genau weiß, was geht und was nicht geht - und einfach aus der Situation heraus entscheidet. Wenn Ihr Euch nicht sicher seid: fragt ihn höflich danach: ein selbstbewusster und erfahrener Rigger sollte über den Dingen stehen und Euch seine Beweggründe erklären können.

Seile an ungünstigen Stellen fördern nicht die Gesundheit!

Bekanntermaßen legen sich Menschen einen Strick um den Hals, wenn sie vor haben, aus dem Leben zu scheiden - und auch wenn Ihr immer wieder Shibari-Performances erleben werdet, wo genau das passiert, hat im Normalfall (Kids, don't try this at Home) ein Seil nichts in der Nähe des Halses zu suchen... doch oft passiert genau dies, ohne es zu wollen - wenn nämlich ein Seil, das eigentlich um die Schulter sitzen sollte, nicht vernünftig gesichert wurde und einfach eigenmächtig hoch rutscht. Im besten Fall führt das zu einer peinlichen Situation, im schlechtesten Falle zu einem qualvollen Tod Eures Bunnys - ich habe mir sagen lassen, dass auch das Leben des Riggers anschließend nicht mehr das Selbe sein wird...

Natürlich wäre es optimal, wenn jeder Rigger erst ein paar Semester Medizin studiert und sich in der Anatomie seines Bunnys genauso gut auskennt, wie in seiner Westentasche... und genauso natürlich ist, dass dies in der Praxis nicht möglich ist... und ich verrate Euch ein Geheimnis: viele der erfahrenen Rigger wissen gewisse Dinge auch nur erlernt - und nicht aus medizinischer Kenntnis heraus... und besser Ihr lernt auswendig, als gar nicht. Auch an dieser Stelle möchte ich wieder auf erfahrene Rigger und Workshops verweisen und von daher nur exemplarisch ein paar Grundregeln - ohne Anspruch auf Vollständigkeit:

Generell hat ein Seil nichts direkt um den Brustkorb oder den Bauchraum zu suchen, ohne die Arme als Schutz für die Rippen mit einzubinden: gerade der Oberarm-Knochen ist einer der stärksten Knochen im Körper und kann den Druck gut auf den Brustkorb verteilen - wenn andere Rigger oder ich so etwas tun, dann nur weil wir genau wissen, was wir tun.

Weitere kritische Punkte sind die Innenseiten der Arme und Beine, wo empfindliche Nerven und Gefäße (Adern), dicht an der Oberfläche verlaufen und wenig Muskelfaser diese schützen: hier kann schon nach wenigen Minuten oder gar Sekunden die Blutzufuhr unterbrochen, oder gar Nerven geschädigt werden. Zwar gibt es auch an den Außenseiten ein paar Punkte, die man meiden sollte, die auch durchaus gefährlich sind, aber zumindest als Faustregel kann man das als Mindestes im Hinterkopf behalten.

Hand- und Fußgelenke, besonders aber die Handgelenke, taugen nur bedingt zum Aufhängen mit Seilen - und da sollte man sich auch erst ran trauen, wenn man einige Erfahrung gesammelt hat... und auch dann mit äußerster Vorsicht. Besonders auch hier gilt: niemals Druck auf die Innenseiten der Gelenke!

Ich muss mal schauen, ob ich demnächst noch ein bebildertes Tutorial ins Leben rufe, oder auf bestehende Tutorials und Bücher verweise - für den Moment schließe ich diesen Artikel erst einmal ab und wünsche Euch fröhliches und sicheres Makramee am lebenden Objekt...